Sonntag, 23. Juni 2013

Weißer Rabe, schwarzes Lamm

Seit Jahren begleiten mich schon die Bücher für die Stadt. Manche bleiben ungelesen, weil ich keinen Zugang zu ihnen bekomme, manche berühren.
Die Intention, die dieser Aktion zu Grunde liegt, finde ich rührend. Ich glaube nicht, dass man damit Nichtleser gewinnen kann, sie bekommen davon gar nichts mit, weil sie meist auch keine Zeitungen lesen, die auf die Aktion aufmerksam machen.

„Den Literaturpreis 'Ein Buch für die Stadt' gibt es seit 2003. Ins Leben gerufen wurde er durch das Literaturhaus Köln und die Tageszeitung Kölner Stadt-Anzeiger. Jährlich wird ein Buch ausgewählt, das im Rahmen einer Aktion zur Förderung der Literatur und des Literaturverständnisses in Köln und der Region zwischen Eifel und Bergischem Land in den Mittelpunkt gerückt wird. Die Initiatoren wählen im Frühjahr/Sommer den Gewinner, im Herbst gibt es dann zahlreiche Veranstaltungen rund um das Buch: Lesungen, Vorträge, Diskussionen, Theaterstücke und vieles mehr.“ Quelle

Um die Menschen einer Stadt zu erreichen, muss man niedrigschwellig vorgehen, so wie Meurer in Vingst, der ganz früh ansetzt mit einem Sprachprogramm „Keiner ist so schlau wie ich“ansetzt.

Es ist, als wäre man Teil eines ganz großen Lesekreises

Nichtsdestotrotz finde ich diese Aktion gelungen, es ist, als wäre man Teil eines ganz großen Lesekreises.
In diesem Jahr ist also der Prosa-Band des in Köln lebenden Autors Jovan Nikolic “ Weißer Rabe, schwarzes Lamm" als Buch für die Stadt ausgewählt worden.
Der Autor ist (u.a.) in Serbien in einer Romasiedlung aufgewachsen und die Möglichkeit nach Deutschland zu emigrieren, bekam er durch ein Stipendium und durch frühere literarische Kontakte.

Über dieses Buch zu schreiben, fällt mir dieses mal besonders schwer, weil ich das Vorwort von Martin Oehlen gelesen habe. Er beschreibt beispielsweise den Raum, den Jovan Nikolic (letzte Seite) dem Leser gibt, das Weiß zwischen zwei Geschichten. sei der Stoff aus dem die Träume sind. Gute Geschichten ziehen mich in ihren Bann, dann bin ich mitten drin.

Es gibt Bücher die liest man und denkt dann: wann geht es endlich weiter?
Manche Geschichten sind kurz und verzaubern, manche Texte verträumt man mehr, als das man sie liest.
So geht es mir jedenfalls bei dem diesjährigen Buch „Weißer Rabe, schwarzes Lamm".

Unwillkürlich tauchen eigene Kindheitserinnerungen auf, der emotionslose Großvater, bei dem ich gelegentlich als Kind Zuflucht gesucht habe. Seine spätere Lebensgefährtin war schizophren, wir Kinder nannten sie heimlich Bloody Mary, wobei wir die eigentliche Bedeutung von Bloody nicht kannten, bloody stand für blöd, weil sie gelegentlich glaubte, sie wäre Queen Mary. Zum Abendessen gab es immer Tee.

Ein Buch zum Träumen

Jovan Nikolic hat in verzaubernder Sprache seine Kindheitserinnerungen zu Papier gebracht .
Obwohl wir beide im gleichen Jahrzehnt aufgewachsen sind und auch uns der Wirtschaftsaufschwung erst sehr spät erreicht hat, hat man das Gefühl, er hätte im vorletzten Jahrhundert gelebt, denn er fuhr in seiner Kindheit noch Fiaker.

Als Romakind mit einer weißen Mutter (keine Zigeunerin) ist er bis zu seinem zwölften Lebensjahr mit seinen Eltern, die beide Musiker waren, von Stadt zu Stadt gezogen. Auch als sie später im Haus des Großvaters sesshaft werden, fühlt er sich nicht heimisch. Er bleibt ein Außenseiter und darf beim Fußball höchstens als Torpfosten herhalten.

Zu allem Überfluss liest er auch noch:
„Lies nicht so viele Bücher. Ich kann nicht lesen und nicht schreiben,doch was geht mir schon ab, mein Lieber. Wem immer ich in die Augen sehe, er ist für mich ein gelesenes Buch. Und nun sag du, wer der Analphabet ist...“

“So viele von uns
sind geschlachtet
das Leiden Sinn hat...

Ich schreibe diese Zeilen in ein Heft, das ich unter dem Kopfkissen versteckt halte.
Die Schwester umschleicht mich heimlich und lächelt rätselhaft. Wenn ich schlafe nimmt sie mein Heft und liest. Das ist nicht anständig von ihr! Ich könnte weinen. Mutter sagt, ich soll mich untersuchen lassen.“

Bärbel Schulte hat das Buch übersetzt. Martin Oehlen würdigt die Übersetzung:“Knapp sind ihre Sätze, konkret und schnörkellos übersetzt sie Nikolics Bilder: Die Träne im Augenwinkel des toten Vaters, ein kopfloses Huhn in einer Federwolke oder der betrunkene, lärmende Großvater, der im Delirium die Befehle deutscher Soldaten lallt.“

Dies ist eine Sammlung von Eindrücken, die ich euch ans Herz legen möchte, ein Buch zum Träumen auf dem weiß zwischen den Geschichten.
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